Soziale Innovationen im Bereich der Teil- und Tauschmodelle: Übersicht der zentralen Hürden & Entwicklungspotenziale

I. Einführung und Eingrenzung von Sozialen Innovationen der Kategorie „Teilen & Tauschen“

Zu SI im Bereich „Teilen & Tauschen“ wurden in den letzten Jahren bereits wertvolle Erkenntnisse gewonnen, beispielsweise im Auftrag des Umweltbundesamtes durch das Forschungsprojekt „Förderung des nachhaltigen Konsums durch Soziale Innovationen – Konzepte und Praxis“[1] und im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten i-Share Forschungsprojektes zur Wirkung der Sharing Economy[2]. Wenngleich die Begrifflichkeiten im Zentrum der Projekte nicht gänzlich übereinstimmen und es leichte konzeptionelle Unterschiede gibt, lassen sich viele Erkenntnisse nutzen, um Maßnahmen zu entwickeln zur effektiven Förderung von SI der Kategorie „Teilen und Tauschen“ – und schlussendlich zur Steigerung ihrer Wirkung im Umwelt- und Klimabereich.

Im Rahmen des empirisch umfangreichsten Forschungsprojekts i-Share konnten 2.500 Sharing Organisationen analysiert werden[3]. Ihre Aktivitäten lassen sich in zahlreiche Bereiche einordnen, von denen einige in im SINA-Vorhaben Eingang finden, inkl.: Community Gardens, Coworking Spaces, Gemeinschaftliches Wohnen, MakerSpaces, Mobilität und Transport, Tauschbörsen sowie Vermiet- und Verleihplattformen.

Auch in Bezug auf ihre Funktionsweise sind SI der Kategorie „Teilen & Tauschen“ sehr divers. Transaktionen zwischen Nutzer*innen können sowohl monetär als auch nicht-monetär stattfinden, bei manchen findet ein Eigentumswechsel (z.B. Kleidertausch) statt, bei anderen nicht (z.B. Bikesharing). Die Anreize zur Teilnahme können wirtschaftlich (z.B. Carsharing) und/oder sozial-ökologisch (z.B. Community Gärten) sein. Während manche Modelle eine physische Infrastruktur benötigen (z.B. Coworking Spaces), sind andere rein virtuell organisiert (z.B. Nachbarschaftsplattformen zum Verleihen von Geräten). Und schließlich kann die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen durch professionelle oder gemeinnützige Anbieter (z.B. Plattform Organisationen) erfolgen oder auch wenig institutionalisierte Formen annehmen wie beispielsweise durch spontane Bürgerinitiativen (sog. „Grassroots“ Initiativen).

Geographisch konnte festgestellt werden, dass es eine Verdichtung von Initiativen auf große Städte und Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte gibt, allerdings sind gerade auch „offline“ operierende SI durchaus auch in ländlichen Gebieten vorhanden – teilweise bereits seit vielen Jahrzehnten. Nichtsdestotrotz lässt sich beobachten, dass diese Art von SI in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine gewisse Renaissance erlebt haben und insbesondere Städte und Gemeinden sowie regionale Handelskammern Themen rund um Konsumgemeinschaften und Sharing Economy[4] vorantreiben auf ihrem Weg zu mehr sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.[5]

Fussnoten

  • [1] https://www.bmuv.de/download/foerderung-des-nachhaltigen-konsums-durch-soziale-innovationen-konzepte-und-praxis
  • [2] https://www.i-share-economy.org/de
  • [3] Es wird geschätzt, dass damit ca. 60% aller Sharing Organisationen in Deutschland erfasst wurden
  • [4] Sharing Economy bezeichnet eine Gruppe von Unternehmen, die einen Mehrwert für die Gesellschaft durch die gemeinsame Nutzung und der besseren Allokation von Ressourcen jeder Art erschaffen (Quelle: i-Share)
  • [5] Siehe z.B. “Shareconomy im B2B-Bereich – Potenziale für die Ressourceneffizienz”, Gemeinsame Studie des BIHK und des StMUV

II. Herausforderungen von Sozialen Innovationen der Kategorie „Teilen & Tauschen“

Bisherige Erkenntnisse zu den Herausforderungen, mit denen sich SI der Kategorie „Teilen & Tauschen“ konfrontiert sehen, können in vier unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden: 

  • Nutzer*innen-Akquise und -Management: Für SI der Kategorie Teilen und Tauschen sind die Nutzer*innen-Communities von zentraler Bedeutung, beispielsweise für die Bereitstellung von Ressourcen oder Infrastruktur, die eine gemeinschaftliche Nutzung von Gütern oder Dienstleistungen ermöglicht. Je nach Organisationsform können diese Nutzer*innen u.a. Kund*innen und Mitglieder der Organisationen sein. Die Akquise und das Management von Nutzer*innen ist somit ein zentraler Erfolgsfaktor für diese Form von SI, der jedoch erheblichen Einsatz von Ressourcen erfordert und insbesondere für frühphasige und gemeinnützig organisierte SI herausfordernd ist. In vorab-Gesprächen mit SI wurde der hohe Stellenwert dieser Herausforderung wiederholt betont.
  • Anschlussfähigkeit und Alltagskompatibilität: Viele Menschen schätzen die Vorteile von Teilen, Tauschen und gemeinsam organisiertem Konsum wie beim gemeinsamen Bus-Charter. Empirisch zeigt sich, dass die Nutzungshäufigkeit von Konsumgemeinschaften variiert, insgesamt aber doch eher gering ausgeprägt ist. Studien gehen davon aus, dass der gegenüber individualisiertem Konsum höhere Aufwand von Tauschen und Teilen ein maßgeblicher Grund für die Zurückhaltung ist.[1]
  • Kosten- und Effizienzdruck: Je nach Organisationsmodell und Skalierungsgrad von SI haben Marktakteure und -mechanismen Einfluss auf Teil- und Tauschmodelle. Insbesondere Car-Sharing-Organisationen, Übernachtungs- sowie Vermiet- und Second-Hand-Plattformen nehmen deutlichen Wettbewerbsdruck wahr.[2] Sich mit ihren Angeboten und Preisen auf dem Markt durchzusetzen, spielt für Organisationen dieser Form eine wichtige Rolle und erfordert somit gut durchdachte und umgesetzte Geschäftsmodelle.
  • Governance: SI aus dem Bereich Teilen & Tauschen sind häufig in gemeinschaftlichen Initiativen organisiert. Im Zuge ihres Wachstums wird die Beibehaltung der Grundorientierung und Anpassung innerer Managementstrukturen für viele Organisationen zur Herausforderung.

Fussnoten

  • [1] Umweltbundesamt (Hrsg.) (2014): Soziale Innovationen im Aufwind – Ein Leitfaden zur Förderung sozialer Innovationen für nachhaltigen Konsum
  • [2] Wruk, Dominika & Oberg, Achim (Hrsg.) (2022): Wirkungen der Sharing Economy in Deutschland. i-share Report (Vol. III)

III. Potenzialfelder für die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen

In einigen Bereichen besteht durch entsprechende Maßnahmen das Potenzial, den oben genannten Herausforderungen zu begegnen und die Förderung und Unterstützung von SI der Kategorie „Teilen & Tauschen“ voranzubringen. Diese ‚Potenzialfelder‘ bieten Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen im Rahmen des SINA-Vorhabens.

a)     Potenzialfeld 1: Skalierung und Diffusion fördern

SI im Bereich der Teil- und Tauschmodelle wachsen vor allem dann, wenn ihre Community und damit die Anzahl an Transaktionen wächst. Organisationen können dieses Wachstum durch Nutzer*innen-Akquise, die Erweiterung ihrer Angebote oder geographischen Reichweite erzielen. Doch auch wenn Geschäftsmodelle kopiert bzw. in angepasster Form an anderen Standorten umgesetzt werden, dehnen sich SI und potenziell auch ihre Wirkungen aus. Um die Skalierung und Diffusion von SI im Bereich Teilen und Tauschen zu fördern, bieten sich u.a. folgende Anknüpfungspunkte an:

  • Zugang zu und Alltagskompatibilität von SI fördern: SI im Bereich Teilen & Tauschen erfreuen sich grundsätzlich einer hohen Akzeptanz. Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, Gelegenheiten des gemeinsam organisierten Konsums vermehrt anzubieten und zu vereinfachen, sind daher von besonderem Interesse.[1] Bei der Schaffung neuer Strukturen sowie der Integration bestehender, aber eher informeller Angebote in den konventionellen Markt können privatwirtschaftliche und politische Organisationen eine wichtige Rolle spielen. Kooperationsprojekte von bestehenden Tausch- und Teilgemeinschaften mit Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen, die eng in den Alltag von Bürger*innen integriert sind, können die Nachfrage für SI in diesem Bereich anregen. So können Sharing Angebote in digitaler und analoger Infrastruktur von öffentlichen und privatwirtschaftlichen Organisationen integriert werden und somit den Zugang zu SI im Bereich Teilen und Tauschen effektiv erhöhen.
  • Skalierung von Geschäftsmodellen: Bei der Skalierung von Geschäftsmodellen im Bereich Teilen & Tauschen gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Empirisch zeigt sich, dass SI selbst insbesondere die Kooperation mit Kommunen und Vereinen als geeignet ansehen.[2] Traditionell kommerzielle Ansätze wie beispielsweise „Franchisekonzepte“ werden größtenteils abgelehnt, mit Ausnahme von Organisationen der profitorientierten Sharing Economy und insbesondere jene im Mobilitätsbereich, die sich auch stärker Wettbewerbskräften ausgesetzt sehen.
  • Förderung bei der Digitalisierung: Informationstechnologien sind sowohl als innovationstreibende als auch als unterstützende Ressourcen – beispielsweise in Form von digitalen Plattformen – ein wesentlicher Treiber für das Wachstum und die Diffusion von SI im Bereich Teilen und Tauschen. Die Digitalisierung birgt somit ein hohes Potenzial für SI im Bereich Teilen und Tauschen, das bei weitem noch nicht ausgenutzt ist.[3]
  • Bekanntheitsgrad von SI steigern: Für viele Initiativen ist es eine große Herausforderung durch Marketing- und Social-Media Maßnahmen Nutzer*innen zu gewinnen. Unterstützung in der Öffentlichkeitsarbeit – beispielsweise in Form von Kampagnen, Informationsmaterial und Websites – sind Maßnahmen, die sich direkt auf den Bekanntheitsgrad und somit die Wirkung von SI auswirken können.

b)     Potenzialfeld 2: Infrastruktur, Vernetzung und Synergien zur Förderung von lokalen Konsumgemeinschaften

In Deutschland gibt es bereits eine Vielzahl großer und kleiner Initiativen, die sich implizit oder explizit dem Ziel der Ressourcenschonung durch Teil & Tauschmodelle verschrieben haben. Um diese Angebote des Gemeinschaftskonsums noch stärker als ernstzunehmende Alternative zum konventionellen Konsum zu etablieren, können auf lokaler Ebene integrative Konzepte entwickelt werden, die zu einer Vernetzung und zur Entstehung von Synergien beitragen. Politik und Verwaltung haben hier direkte und indirekte Möglichkeiten der Förderung:

  • Shareable / Sharing Cities: Weltweit haben Städte sich dem Konzept der Sharing Economy angenommen und ganze Maßnahmenbündel umgesetzt, um die Nutzung von Angeboten im Bereich Teilen und Tauschen zu fördern. Unter dem Leitbild „Shareable“ oder „Sharing City“ lassen sich bereits umgesetzte Konzepte finden und in angepasster Form replizieren.[4] Öffentliche Einrichtungen spielen hier eine zentrale Rolle, unter anderem in Bezug auf die Bereitstellung von Infrastruktur, Vernetzungsangeboten oder der Einräumung von spezifischen Rechten. So kann die Kooperation mit Gemeinden eine sehr positive Wirkung auf die Schaffung eines lokalen Sharing Ökosystems haben. Doch auch Unternehmen können sich solchen Bewegungen anschließen und Unterstützung bieten, insbesondere durch die Bereitstellung von Räumen oder der bevorzugten Behandlung von Konsumgemeinschaften bei der Vermietung oder dem Verkauf von Immobilien.
  • Gezielte Förderung: Existierende Initiativen aus dem Bereich Teilen und Tauschen können auf vielfältige Weise gezielt lokal unterstützt werden. Neben direkter finanzieller Förderung von Initiativen und Start-ups, insbesondere im Anfangsstadium, sind prozedurale Erleichterungen für Anbieter*innen von Teil- und Tauschmodellen – zum Beispiel durch eine vereinfachte Genehmigung bei der Nutzung öffentlicher Räume als Tauschplätze – für viele SI hilfreich. Auch mit Fokus auf einzelne Aktivitätsbereiche lassen sich gezielt Maßnahmen umsetzen. So können im Bereich Mobilität Fahrgemeinschaften durch direkte Vorteile im Straßenverkehr gefördert werden, zum Beispiel durch ausgewiesene Parkplätze und Fahrspuren.[5]

Fussnoten

  • [1] Umweltbundesamt (Hrsg.) (2014): Soziale Innovationen im Aufwind – Ein Leitfaden zur Förderung sozialer Innovationen für nachhaltigen Konsum
  • [2] Wruk, Dominika & Oberg, Achim (Hrsg.) (2022): Wirkungen der Sharing Economy in Deutschland. i-share Report (Vol. III)
  • [3] Wruk, Dominika & Oberg, Achim (Hrsg.) (2022): Wirkungen der Sharing Economy in Deutschland. i-share Report (Vol. III)
  • [4] Verbreitet ist das Konzept vor allem in den USA, wo im Juni 2013 die „Shareable Cities Resolution“ von fünfzehn Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern US-amerikanischer Großstädte verabschiedet wurde. Die Städte bekannten sich damit zu einer institutionalisierten Förderung gemeinschaftsbasierten Konsums, mit der nicht nur die „Sharing Economy“ unterstützt wird, sondern auch mögliche Hindernisse bei Genehmigungen und Regulierungen angegangen werden. Siehe auch: World Economic Forum (2017): Collaboration in Cities: From Sharing to ‘Sharing Economy’
  • [5] Wruk, Dominika & Oberg, Achim (Hrsg.) (2022): Wirkungen der Sharing Economy in Deutschland. i-share Report (Vol. III)

IV. Weiterführende Literatur

Anmerkung zur bisherigen thematischen Eingrenzung & Bitte um Feedback:

Die in diesem Artikel erläuterten Aspekte stellen erste Ideen und Grundlagen in der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zur effektiven politischen und verwaltungstechnischen Förderung von SI im Bereich Teilen & Tauschen dar.

Das SINA-Projektteam vom Yunus Environment Hub freut sich über Feedback, Anregungen, Impulse oder Maßnahmenvorschläge, die zur Ausarbeitung der finalen Handlungsempfehlungen berücksichtigt werden sollten. Für derartige Rückmeldungen stehen wir jederzeit per Mail zur Verfügung: soziale.innovation@yunuseh.com.