Politische & rechtliche Weichenstellung: Herausforderungen und Potenziale für Soziale Innovationen im ökologischem Nachhaltigkeitskontext

I. Herausforderungen

Bisherige Erkenntnisse zu den Herausforderungen, mit denen sich Soziale Innovationen im ökologischen Bereich auf politischer und rechtlicher Ebene konfrontiert sehen, können in fünf unterschiedlichen Kategorien zusammengefasst werden: 

  • Unökologische Wirtschaftspolitik als Wachstumshemmnis für Soziale Innovationen:

Die Effekte einer unzureichend ökologisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik wurden in den geführten Gesprächen mit Praxispartner*innen und Expert*innen wiederholt hervorgehoben. So erschwert beispielsweise die andauernde Subventionierung umweltschädlicher Praktiken Sozialen Innovationen den Einstieg in einigen Sektoren, so z.B.  in der Landwirtschaft, wo lokale Agrargenossenschaften und -Initiativen mit großen, aus EU-Mitteln subventionierten Landwirtschaftsbetrieben konkurrieren. Hierdurch halten sich etablierte Praktiken und Geschäftsmodelle trotz ihres teilweise negativen Effekts auf die Umwelt am Markt.[1] Gleichzeitig erhalten Soziale Innovationen im ökologischen Bereich bisher zu wenig Subventionen, um sich am Markt etablieren und wachsen zu können. Auch die mangelnde Einpreisung von Externalitäten auf die Umwelt führt zu Marktverzerrungen, die die Entstehung und das Wachstum von ökologisch orientierten Soziale Innovationen maßgeblich verhindern.

  • Mangelnde Berücksichtigung von Sozialen Innovationen und bürokratische Hürden in Förderprogrammen:

Bestehende Förderprogramme richten sich nur sehr selten explizit an Soziale Innovationen, die im ökologischen Bereich tätig sind, und berücksichtigen deren besondere Organisationsformen und Geschäftspraktiken sowie den damit einhergehenden spezifischen Förderbedarf nicht ausreichend.[2] Bei der Beantragung und Vergabe von Fördermitteln, die auch für Soziale Innovationen abrufbar sind, bestehen außerdem zu häufig hohe administrative Hürden. Sowohl die Beantragung als auch die Abwicklung von Förderanträgen stellen insbesondere junge bzw. frühphasige Soziale Innovationen vor beachtliche Herausforderungen und erfordern einen zeitlichen Aufwand, der oft in keinem Verhältnis zu den in Aussicht gestellten Förderinstrumenten und – Mitteln steht. 

  • Mangelndes Verständnis und Kompetenz zu Sozialen Innovationen in öffentlichen Institutionen:

Der Begriff der „Sozialen Innovationen“ ist nach wie vor nicht allen Mitarbeiter*innen in relevanten Positionen in öffentlichen Institutionen und der Verwaltung bekannt. So bleibt einzelnen politischen Akteur*innen noch zu häufig unklar, wie mit entsprechenden Initiativen, Organisationen und Lösungsansätzen umgegangen werden kann und welche Förder- und Unterstützungsmaßnahmen zur Verfügung stünden. Dort wo staatliche Einrichtungen Soziale Innovationen bereits explizit fördern, fehlt häufig der Bezug zu Soziale Innovationen mit Wirkung im ökologischen Bereich. Für Soziale Innovationen führt dies zu Misserfolg bei der Suche nach Unterstützung und Förderung durch öffentliche Institutionen. Insbesondere auf kommunaler Verwaltungsebene mangelt es dem für Fördermittel zuständigen Personal zu häufig an der nötigen Sensibilisierung für Soziale Innovationen und ihre Bedürfnisse.

  • Rechtlich-regulative Hürden für Soziale Innovationen im ökologischen Bereich:

Viele Soziale Innovationen mit Wirkung im ökologischen Bereich agieren an der Schnittstelle zwischen Nonprofitsektor und freier Marktwirtschaft. Bestehende Rechtsformen werden dieser Dualität in den Augen vieler Praxispartner*innen nicht ausreichend gerecht und schränken den finanziellen Handlungsspielraum von Soziale Innovationen stark ein[3].

In einzelnen Branchen, wie z.B. dem Bauwesen, der Lebensmittelindustrie oder der Landwirtschaft, erschwert die vorherrschende starke Regulierung Soziale Innovationen im ökologischen Bereich außerdem den Einstieg und Wettbewerb mit bestehenden, häufiger weniger nachhaltigen, Organisationen.

  • Planungsunsicherheit und fehlende politische Koordination: 

Während Innovationsförderung auf verschiedenen Ebenen politisch verankert ist,[4] gibt es aktuell noch keine klare politische Zuständigkeit für Soziale Innovationen. Hierdurch mangelt es Soziale Innovationen an Orientierung und Planungssicherheit, z.B. in Bezug auf fortlaufende Fördermöglichkeiten, relevante Gesetze und Regularien, Synergien mit verwandten Programmen oder dauerhafte Anlaufstellen.[5]

 

Fussnoten

II. Potenzialfelder

In einigen Bereichen besteht durch entsprechende Maßnahmen das Potenzial, den oben genannten Herausforderungen zu begegnen und die Förderung und Unterstützung von Soziale Innovationen durch politische und rechtliche Weichenstellungen voranzubringen. Diese ‚Potenzialfelder‘ bieten Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen im Rahmen des SINA-Vorhabens.

1.        Politische Institutionalisierung der Förderung von Soziale Innovationen: 

Soziale Innovationen entstehen in unterschiedlichen Kontexten und widmen sich verschiedenen gesellschaftlichen Herausforderungen. Dementsprechend werden sie bislang an unterschiedlichen politischen Stellen untersucht und gefördert. Damit mögliche Synergien aufgedeckt und genutzt werden können, braucht es eine entsprechende Zusammenführung und Koordinierung bestehender Förder- und Unterstützungsbestrebungen. Aktuell wird hierzu unter anderem die Nationale Strategie für Soziale Innovationen / Sozialunternehmen erarbeitet, die maßgeblich zur Förderung, Unterstützung und Institutionalisierung von Soziale Innovationen beitragen kann und eine entscheidende politische Weichenstellung darzustellen vermag. Darüber hinaus wurden folgende Anknüpfungspunkte und Leitfragen hinsichtlich der politischen Institutionalisierung der Förderung von Soziale Innovationen identifiziert:

  • Politische Institutionalisierung von Soziale Innovationen:

Welche Art von Institutionen und politischen Rahmenwerken braucht es, um Soziale Innovationen im ökologischen Bereich bestmöglich und ganzheitlich zu fördern? Wie und wo muss diese Förderung verankert werden, damit die Bedürfnisse von ökologisch ausgerichteten Soziale Innovationen Eingang in politische Entscheidungen finden?

Sowohl in den geführten Gesprächen mit Akteur*innen aus der Praxis als auch in der Literatur werden strategische politische Rahmenwerke zur Förderung von Sozialen Innovationen und eine ressortübergreifende Koordination hiervon als zentrale Maßnahme hervorgehoben.[1] Als konkrete Instrumente können hier unter anderem spezifische Referate in einzelnen Ministerien, staatliche Koordinationsstellen und Ansprechpersonen für Soziale Innovationen auf allen politischen Ebenen, oder eine institutionelle Anbindung auf Bundes-[2], Landes und kommunaler Ebene zählen.

  • Kompetenz- und Bewusstseinsbildung zu Soziale Innovationen in politischen Institutionen:

Wie können Mitarbeiter*innen in politischen Institutionen durch Fortbildungen und entsprechende Programme die notwendigen Kompetenzen rund um die Förderung und Unterstützung von Soziale Innovationen erlangen? Welche Personen und Ebenen von Politik und Verwaltung sind hierbei besonders relevant und wie könnten bewusstseinsbildende Maßnahmen aussehen?

Träger*innen von Soziale Innovationen artikulieren immer wieder den Mangel an Bewusstsein um Soziale Innovationen und die fehlenden Kompetenzen hinsichtlich ihrer Förderung und Unterstützung bei politischen Akteur*innen – insbesondere auf mittleren politischen Entscheidungsebenen und in der kommunalen Verwaltung.[3] Entsprechende bewusstseins- und kompetenzbildende Maßnahmen stellen daher zentrale politische Weichenstellungen für Sozialen Innovationen dar.

  • Stärkung von Förderstrukturen und Partizipationsprozessen für Sozialen Innovationen auf kommunaler Ebene:

Wie können der Austausch und die Kompetenz bezüglich Soziale Innovationen auf lokaler Ebene gefördert werden? Wie lassen sich kommunale Partizipationsprozesse im Sinne der Bedarfsermittlung für Soziale Innovationen stärken?

Soziale Innovationen starten oft als sogenannte “Graswurzelbewegungen” oder kleine Start-ups, die zunächst lokale Lösungsansätze anbieten. Ihre ersten Ansprechpartner*innen in politischen Institutionen sind oft auf kommunaler Ebene angesiedelt. Diesen mangelt es jedoch häufig an Wissen und bestehenden Prozessen sowie der nötigen Kapazität, um adäquat auf die Bedürfnisse von Soziale Innovationen einzugehen und diese zu unterstützen.[4] Mit dem Ziel, die Kompetenzen von Kommunalverwaltungen zu fördern sowie lokale Partizipationsprozesse zu stärken, können z.B.  Leitfäden zur Entwicklung von Bürgerinitiativen oder partizipative Formate aufgebaut werden,[5] die eine bürgernahe Identifizierung des Bedarfs für Soziale Innovationen auf kommunaler Ebene ermöglichen.[6]

  • Abbau administrativer Hürden im Rahmen der Fördermittelvergabe an Soziale Innovationen:

Wie können die Vergabeprozesse und administrativen Anforderungen von Fördermitteln verschlankt und vereinfacht werden, um Soziale Innovationen einen niedrigschwelligeren Zugang zu Förder- und Unterstützungsmaßnahmen zu ermöglichen?

Der hohe bürokratische Aufwand, den die Träger*innen von Soziale Innovationen im Rahmen der Beantragung von Fördermitteln zu bewerkstelligen haben, stellt insbesondere für junge und frühphasige Soziale Innovationen eine zentrales Wachstumshemmnis dar. Ein Abbau derartiger bürokratischer Hürden würde jedoch nicht nur Soziale Innovationen zugutekommen, sondern kann auch dazu dienen, verwaltungsinterne Prozesse zu modernisieren und innovativer zu gestalten.

Fussnoten

 

2. Wirtschaftspolitische, legislative und administrative Hebel zur Förderung von Soziale Innovationen

Wirtschaftspolitische, legislative und administrative Hebel innerhalb staatlicher umfassen sowohl finanzielle als auch nicht-finanzielle Anreize, sowie die Schaffung von Grundvoraussetzungen, die Entstehung und Wachstum von Soziale Innovationen im ökologischen Bereich unterstützen und neue Märkte eröffnen. Im Rahmen der bisherigen Recherche wurden dabei folgende Anknüpfungspunkte identifiziert:

  • Sensibilisierung des öffentlichen Beschaffungswesens für Soziale Innovationen:

Wie lassen sich öffentliche Ausschreibungen und Vergabeprozesse so gestalten, dass Soziale Innovationen mit ökologischer Wirkung eine höhere Beteiligungschance haben? Wie kann eine öffentliche innovative Beschaffung auch Soziale Innovationen im ökologischen Bereich berücksichtigen? Welche Anforderungen an das Personal der öffentlichen Verwaltung ergeben sich hieraus?

Mit einem jährlichen Auftragsvolumen von 500 Mrd. EUR[1] besitzt das öffentliche Beschaffungswesen ein immenses Potenzial, als Wachstums- und Skalierungstreiber für Soziale Innovationen im ökologischen Bereich zu fungieren.[2] Aktuelle Vergabeprozesse lassen dieses Potenzial jedoch noch weitestgehend ungenutzt. Es braucht daher eine Sensibilisierung des öffentlichen Beschaffungswesens und der öffentlichen Verwaltung für Soziale Innovationen mit Wirkung im ökologischen Bereich.[3] So kann beispielsweise die Ausschreibung von Herausforderungen (z.B. „nachhaltige Mobilität“) anstelle von konkreten Lösungen (z.B. „E-Fahrzeuge“) die Beteiligungschancen und Entstehung von Soziale Innovationen erhöhen.

  • Legislative und regulatorische Hebel als Wachstumstreiber für Soziale Innovationen:

Welche gesetzlichen Hebel und Rahmenbedingungen können Entstehung und Wachstum von Soziale Innovationen im ökologischen Bereich fördern? Wie können durch entsprechende Regulierungen und Gesetze neue Märkte für Soziale Innovationen entstehen?

In Gesprächen mit den Träger*innen von Soziale Innovationen wurde wiederholt auf die Relevanz einzelner Gesetze und Regularien eingegangen, die sich maßgeblich auf die Entstehung und das Wachstum von Soziale Innovationen auswirken können und neue Märkte und Geschäftsfelder für Soziale Innovationen hervorbringen können. Zu derartigen legislativen Hebeln zählen im ökologischen Bereich z.B. ein Recht auf Reparatur[4] sowie Verordnungen zur erweiterten Herstellerverantwortung[5]. Auch eine verpflichtende Kennzeichnung des CO2- bzw. Wasserverbrauchs von Produkten würde die Nachfrage nach Soziale Innovationen, die an diesen Themen arbeiten, erhöhen und neue Wertschöpfungsketten bzw. Märkte schaffen.

  • Dialogformate für neue Rechtsformen:

Wie können partizipative Dialogformate aufgesetzt werden, im Rahmen derer über neue Rechtsformen für Soziale Innovationen diskutiert wird? Welche Stakeholder und Perspektiven sollten hierbei berücksichtigt werden? Welche unterschiedlichen Bedürfnisse bestehen bei unterschiedlichen Akteursgruppen?

Im internationalen Vergleich bestehen bereits unterschiedliche Vorreitermodelle für alternative Rechtsformen für Soziale Innovationen[6] und auch im deutschen Kontext sind in den letzten Jahren vermehrt Initiativen entstanden, die den Dialog hierzu voranbringen.[7]

  • Stärkung einer ökologischen sozial-innovativen Subventionspolitik:

Wie können staatliche Maßnahmen umweltfreundliches Handeln von Konsument*innen und Unternehmen fördern, um die Nachfrage nach Soziale Innovationen zu stärken? Durch welche Maßnahmen ließe sich die bestehende Subventionierung umweltschädlicher Branchen und Praktiken sozialverträglich verringern, um Soziale Innovationen den Markteintritt zu erleichtern?

Durch eine Subventions- und Steuerpolitik, die Nachhaltigkeitskriterien in ihren Mittelpunkt stellt, würden einerseits neue Märkte für Soziale Innovationen im ökologischen Bereich entstehen. Andererseits würden Soziale Innovationen hierdurch beim Eintritt in bestehende Märkte sowie im Wettbewerb mit etablierten, häufiger weniger nachhaltig wirtschaftenden Organisationen unterstützt werden. Konkrete Maßnahmen reichen von Steuererleichterungen für Investitionen in Soziale Innovationen, über eine gezielte Subventionierung der Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen, die von Soziale Innovationen und ihren Träger*innen entwickelt und angeboten werden,[8] bis zu einem gezielten Abbau umweltschädlicher Subventionen, der Soziale Innovationen den Markteintritt in Sektoren wie Mobilität & Verkehr, Energie oder Landwirtschaft signifikant erleichtern würde.[9]

Fussnoten

Anmerkung zur bisherigen thematischen Eingrenzung:

Die in diesem Arbeitspapier erläuterten Aspekte stellen erste Ideen und Grundlagen in der Erarbeitung von Handlungsempfehlungen zu den „politischen und rechtlichen Weichenstellungen“ für Soziale Innovationen im ökologischen Bereich dar.

Das SINA-Projektteam vom Yunus Environment Hub freut sich über Feedback, Anregungen oder Impulse.

Für derartige Rückmeldungen stehen wir jederzeit per Mail zur Verfügung: soziale.innovation@yunuseh.com.

Weiterführende Literatur